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GCM 2-2012

  GCM 2 / 2012 GERMAN COUNCIL . verführung Halb zog sie ihn, halb sank er hin ... Von Verführung und Manipulation Haben Sie heute schon jemanden verführt? Oder gar manipuliert? Oder sind Sie vielleicht sogar selbst verführt oder manipuliert worden? Viel- leicht haben Sie es auch überhaupt nicht bemerkt ... Hat Eva Adam verführt, in den Apfel zu beißen, oder hat sie ihn mani- puliert? Was trennt die Verführung von der Manipulation? Nichts – zu- mindest nicht in der Anwendung, denn die Techniken sind eigentlich die gleichen. Wikipedia definiert Verführung als »eine Person gewalt- los so zu manipulieren, dass sie etwas tut, was sie eigentlich nicht wollte«. Verführung bedient sich also der Mittel der Manipulation. »Verführung ist«, schreibt dementsprechend der amerikanische Autor Robert Greene, »die ultimative Form von Machtausübung. Wer sich verführen lässt, tut das freiwillig und ist dabei glücklich.« Der Unterschied liegt also nicht in dem Verführer, der durchaus mani- pulative Techniken anwendet, sondern in der Einstellung des Adressa- ten. Der Verführung geben wir uns mehr oder minder bereitwillig hin, bei der Manipulation spüren wir, dass wir gegen unseren ursprüngli- chen Willen gelenkt werden. Um erfolgreich zu verführen, sollten wir alle Sinne ansprechen, denn wird nur auf den Kopf gezielt, dann hat es eher mit überzeugen oder überreden zu tun. Die Sinnlichkeit ist es jedoch, die uns verlockt und ins Verderben stürzt – sei es der Fischer in Goethes gleichnamigem Ge- dicht, der der Nixe, dem »feuchten Weib«, nur halb widerstrebend ins Wasser folgt, sei es der Konsument, der angesichts der vielen Verlo- ckungen sein Geld auch dann noch ausgibt, wenn das Portemonnaie schon längst leer ist. Die großen Warenhäuser, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts eröffnet wurden, waren sich dessen sehr wohl bewusst, denn es war nicht nur die Warenfülle, die sich in den Kaufhäusern unter einem Dach fand, sondern die sinnliche Inszenierung der Waren. Zuvor muss- ten die Kunden den Händler erst nach den Produkten fragen, die jener dann aus Schachteln zog – und so nur einen, den erfragten Teil seines Sortiments präsentierte. Nun wurden die Sortimente regelrecht in Sze- ne gesetzt, mit Spiegeln, Dekorationen und entsprechender Beleuch- tung. Man ging spazieren durch die Warenwelt des Kaufhauses, konn- te sich alles ansehen und war nicht zum Kauf verpflichtet. Emile Zola beschrieb 1883 in seinem Roman »Das Paradies der Da- men« gleich auf den ersten Seiten diese neue Sinnlichkeit: »Lange Bahnen der verschiedensten Stoffe ergossen sich aus dem Zwischen- stock herab und flatterten wie Fahnen in allen Farben, schiefergrau, meerblau, olivgrün. (…) Es war ein riesiger Jahrmarkt; das Geschäft schien vor Überfülle bersten und seinen Überfluss auf die Straße aus- schütten zu wollen.« Die Schaufenster wurden nicht nur zur bloßen Zurschaustellung der Pro- dukte genutzt, sondern diese wurden quasi »choreografiert«. Einer der Begründer der Soziologie, Georg Simmel, sprach 1896 von der »Schau- fenster-Qualität der Dinge«. Nicht mehr nur nützlich sollten die Waren sein, sondern sie mussten darüber hinaus noch über eine verlockende Außenseite verfügen, denn erst dieser äußere Reiz der Objekte und die Art ihres Arrangements vermochten es, das Interesse des Käufers zu er- regen. So viel Gestaltungswille konnte nicht nur dem Abverkauf dienen – es ging um Warenästhetik und damit um Kunst. So wurde dann 1910 auch die »Höhere Fachschule für Dekorationskunst« in Berlin gegründet. Sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken – das fasziniert uns noch heu- te und so verwundert es nicht, dass die Märkte und Markthallen stets auch Anziehungspunkt für Touristen sind. Ob La Boqueria in Barcelona, der Pike Place Market in Seattle, Les Halles de Lyon oder jeder kleine pit- toreske Hafenmarkt – die Sinnlichkeit des Angebotes schlägt jeden steri- len Supermarkt mit seinem schreiend bunten und um Aufmerksamkeit heischenden Kampf der Verpackungen. In Paris gibt es den kleinen, ver- steckten Gewürzladen von Monsieur Izrael, bis unter die Decke voll mit Köstlichkeiten aus aller Welt. Es duftet so herrlich, dass einem fast schwindelig wird. In offenen Säcken lagern Nüsse, Kräuter, Wurzeln in allen Farbschattierungen, Dosen und Verpackungen mit exotischen Na- men und Etiketten entführen uns in eine Welt von 1001 Nacht ... Wer dieses Geschäft einmal betreten hat, wird es nie wieder vergessen ... Farben, Formen, Düfte verführen uns – nicht nur als Käufer. Welche Sinnlichkeit geht denn von den Magermodels aus, die storchenbeinig durch die Castingshows staksen? Nicht umsonst geht Liebe durch den Magen und das gemeinsame Essen ist oftmals der Auftakt zu weiteren Sinnesfreuden (zu denen es wohl kaum kommt, wenn ein Part nur mä- kelig in Salatblättern stochert ...). Zolas Roman karikierte jedoch diese Zeit der ersten Kaufhäuser und zeigte auch die dunklen Seiten der Verführung: Kaufhauschef Mouret nutzt es nämlich aus, »wenn wir alle Frauen anlocken und sie, verführt, toll gemacht von der Unmenge unserer Waren, uns auf Gnade und Un- gnade ausgeliefert sind und, ohne zu rechnen, ihre Geldbörse leeren! Die Hauptsache, mein Bester, ist, dass sie Feuer fangen, und dafür braucht man einen Artikel, der gefällt, der Aufsehen erregt!« Der Ro- man sei künftigen Marketingmanagern sehr zur Lektüre empfohlen. Wie immer im Marketing übrigens, können wir uns selbst befragen: Wovon lassen wir uns denn nur zu gerne verführen? Lautstärke und

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