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GCM 2-2012

  GCM 2 / 2012 GERMAN COUNCIL . Verführung Herr Dr. Mikunda, Sie waren Film- und Fernsehdramaturg und werden heute als »Erlebnisdramaturg« bezeichnet. Können Sie den Begriff et- was näher erläutern? Wie kann man ein Erlebnis in Dramaturgie fas- sen? Ist das eine Methode? Erlebnisdramaturgie ist eine populäre Bezeichnung für »Strategische Dramaturgie«, einer Wissenschaftsdisziplin, als deren Begründer ich gelte. Ich habe mich schon immer für professionell hergestellte Erleb- nisse interessiert. Ich habe damit als Praktiker und Theoretiker beim Film und beim Fernsehen begonnen und eines Tages gemerkt, dass diese Erlebnisse in der Wirtschaft angekommen sind. So bin ich, ohne das geplant zu haben, vom zweidimensionalen Entertainment ins drei- dimensionale gerutscht und so hat sich über dreißig Jahre und vier Bü- cher diese Methode entwickelt, die wir strategische Dramaturgie nen- nen. Als Erlebnisdramaturg interessiere ich mich dafür, diese professio- nell hergestellten Erlebnisse zu erklären. Ich möchte die von den Profis eingesetzten dramaturgischen Kunstgriffe und die psychologischen Mechanismen, die dahinterstecken, identifizieren. Und in erster Linie interessiere ich mich für Wirkungssteigerung, dafür, wie man etwas emotional noch intensiver machen kann. Und mit der Erlebnisdramaturgie kann man Menschen verführen? Wenn man all die vielen psychologischen Ebenen und Methoden auf einen Nenner bringen müsste, ist Verführung, wenn man die Men- schen dazu bringt, selber die letzten Puzzlesteine ins Mosaik einzuset- zen. Wenn man mit wenigen Signalen eine Geschichte in ihnen lostritt, sodass sie ihre inneren Drehbücher anwenden dürfen, um sie selber zu Ende zu führen. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, sich selber et- was zusammenzureimen, denn dann fühlen sie sich aktiviert und invol- viert. In dem Moment geht ein Wert hoch, den man in der Medienpsy- chologie als AIME-Wert bezeichnet. Das Kürzel steht für »Amount of Invested Mental Effort«, also die notwendige geistige Ausarbeitungs- leistung. Wenn dieser Wert hoch ist, fühlt man sich angenehm emoti- onal aufgekratzt und wendet sich positiv gestimmt einem Informati- onsangebot zu. Man wird aber auch in einen Zustand erhöhter Auf- merksamkeit versetzt, sodass Informationen gierig aufgenommen werden. Werbung ist deshalb seit 30 Jahren nicht mehr nur Reklame, in der man einen Produktnutzen kommuniziert. Sie ist so inszeniert, dass die Menschen in diesen Zustand der erhöhten Aufmerksamkeit versetzt werden, sodass die Slogans, die am Ende einer Werbebot- schaft kommen, begierig aufgenommen werden. Wie kann man das in den von Ihnen erwähnten dreidimensionalen Räumen umsetzen? Wenn Orte so inszeniert sind, dass der AIME-Wert hochgeht, dann be- ginnen die Menschen mit dem, was die Amerikaner als »Browsing« be- zeichnen, also dem Abgrasen aller Möglichkeiten. Das ist der Grund, warum heute vor allem in der Wirtschaft und im Handel Erlebnisse in- szeniert werden: Man versucht die Menschen dazu zu bringen, mit er- höhter Aufmerksamkeit positiv gestimmt einen Ort abzugrasen. Wie funktioniert diese Inszenierung genau? Wie verführt man jeman- den, etwa eine Shopping Mall, die zu Ihren großen Interessenfelder ge- hören, überhaupt zu betreten und dann dort von A nach B zu gehen? In der Gestaltung von Shopping Malls hat sich in den letzten 20 Jahren vor allem eines grundlegend geändert: Man gestaltet heute nicht nur die Geschäfte, sondern auch den Raum dazwischen, sprich, die Plätze, die Achsen, den Vorplatz, die Fassade, die Toiletten, die Tiefgarage. So entsteht ein Ort, der nicht mehr, wie das in den 70er-Jahren war, eine brutale Verkaufsmaschine ist, sondern ein echter Aufenthaltsort, ein Dritter Ort, über den ich in meinen Buch »Marketing spüren. Willkom- men am Dritten Ort« ausführlich geschrieben habe. Der Erste Ort ist die eigene Wohnung, die mir emotional guttut. Der Zweite Ort ist der gestaltete Arbeitsplatz, der ja auch ein »Home away from Home« sein soll. Und der Dritte Ort, das sind immer schon die Orte gewesen, an die wir nicht nur gegangen sind, um dort das Eigentliche zu erledigen, sondern auch, um uns etwas von der Emotionalität des Ortes zu holen. Der Tante-Emma-Laden, in dem man auch tratscht, der Friseur, bei dem man drei Stunden verbringt. Diese Orte sind bis auf wenige Ausnah- Das Königsgefühl für den Kunden Ein Gespräch mit Dr. Christian Mikunda ©DrAfter123-Istockphoto.com

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