GCM 2 / 2013 GERMAN COUNCIL . recht und gesetz Störfallvorsorge im Baugenehmigungsverfahren BGH Entscheidung mit weitreichenden Folgen Das Bundesverwaltungsgericht hat am 20.12.2012 eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Folgen für die Baugenehmi- gungspraxis für Vorhaben in der Umgebung von sogenannten Störfallbetrieben in Deutsch- land haben wird. In der Sache ging es um Erteilung eines Bau vorbescheides für einen Gartenbaumarkt in ei nem Bereich, für den kein Bebauungsplan existierte. In unmittelbarer Nähe zu dem ge planten Standort befindet sich ein Chemiebe trieb, der ein sogenannter Störfallbetrieb im Sinne der Seveso-II-Richtlinie ist. Streitig war, ob im Rahmen des Baugenehmigungsverfah rens die Einhaltung der sogenannten Ach tungsabstände im Sinne der Seveso-II-Richtli nie zu dem Störfallbetrieb zu prüfen und ob bei deren Unterschreitung die Erteilung der Baugenehmigung zu versagen ist. Ziel dieser Achtungsabstände ist es, die schädlichen Aus wirkungen von Störfällen auf Wohngebiete, andere öffentliche genutzte Gebäude und sonstige schutzbedürftige Gebiete zu vermei den. Die Seveso-II-Richtlinie trat im Jahr 1996 in Kraft trat und musste bis 1999 von den Mit gliedsstaaten in nationales Recht transfor miert werden. Auslöser des Erlasses dieser Se veso-Richtlinien war das Chemieunglück in der italienischen Kleinstadt Seveso im Jahre 1976, weshalb sie auch ihren Namen trägt. Im Rahmen der Bauleitplanung ist Einhaltung der Achtungsabstände im Rahmen der Abwä gung zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber zur Umsetzung des Arti kels 12 der Seveso-II-Richtlinie § 50 Satz 1 Bun desimmissionsschutzgesetz (BImSchG) einge führt. Inwieweit die Einhaltung der Achtungs abstände im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen ist, war bisher umstritten. Denn bei der Erteilung der Baugenehmigung handelt es sich um eine sogenannte gebundene Ent scheidung. Liegen die Genehmigungsvoraus setzungen vor, so ist die Genehmigung zu er teilen und der Baugenehmigungsbehörde kommt kein Ermessen zu. Daher wurde ange zweifelt, ob und in welcher Weise die Bauge nehmigungsbehörde bei der Erteilung einer Baugenehmigung die Einhaltung der Ach tungsabstände berücksichtigen muss. Denn anders als im Bauleitplanverfahren findet im Baugenehmigungsverfahren gerade keine Ab wägung von Belangen statt. Relevant ist die Frage, inwieweit die Einhal tung von Achtungsabständen im Baugeneh migungsverfahren zu berücksichtigen ist, zum einen für Vorhaben außerhalb des Geltungs bereichs von Bebauungsplänen und zum an deren im Geltungsbereich von älteren Bebau ungsplänen, die vor Erlass der Seveso-II-Richt linie in Kraft traten. Denn auch bei diesen al ten Bebauungsplänen wurde die Einhaltung der Achtungsabstände mangels entsprechen der gesetzlicher Vorgaben nicht berücksich tigt. In Deutschland existiert in den Ballungs räumen eine Vielzahl von sogenannten Ge mengelagen, bei denen zwischen Störfallbe trieben und schutzbedürftigen Nutzungen aufgrund gewachsener Strukturen nicht Ab stände anhand der Seveso-II Richtlinie einge halten werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat jüngst ent schieden (vgl. Urteil vom 20.12.2012, Az.: 4 C 11/11), dass der Einhaltung der Achtungsab stände durch eine richtlinienkonforme Ausle gung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Gebots der Rücksichtnahme Rechnung getra gen werden kann. Im Rahmen des Rücksicht nahmegebots sei daher eine wertende Ent scheidung darüber zu treffen, ob Umstände von besonderem Gewicht vorliegen, die es rechtfertigen, das Vorhaben innerhalb der Achtungsabstände zuzulassen. Bisher liegen die Entscheidungsgründe des Bundesverwal tungsgerichts zu diesem Urteil noch nicht vor. Daher lassen sich noch keine abschließenden Aussagen darüber treffen, welches Gewicht der Einhaltung der Achtungsabstände zu kommt und unter welchen Voraussetzungen eine Unterschreitung derselben zugelassen werden kann. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Ge richtshofs (EuGH) zu dieser Fragestellung (vgl. Urteil vom 15.09.2011, Rs. C-53/10) lassen sich aber bereits Kriterien ableiten, die bei dieser wertenden Entscheidung wohl zu berücksich tigen sind. Hierzu zählen beispielsweise das Störfallrisiko und die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Gebiete. Ebenfalls zu berücksich tigen sind auch sogenannte sozioökonomi sche Belange. Die Umsetzung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens ist nach Ansicht des EuGH Sache der Mitgliedsstaaten. Gleichzeitig hat das Bundesverwaltungsgericht aber auch entschieden, dass eine Berücksichti gung der Achtungsabstände im Rahmen der ©Froxx–istockphoto.com