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GCM 5-2015

  GCM 5 / 2015 GERMAN COUNCIL . Think Land geprägt ist von den christlichen Grund- überzeugungen, der Barmherzigkeit, der Nächstenliebe und auch der Verantwortung des eigenen Lebens vor Gott. Steuern hinter- ziehen, betrügen oder mauscheln sind je- denfalls keine christlichen Werte. Insofern glaube ich schon, dass Luther die Menschen auffordern würde, mehr in der Bibel zu lesen bzw. nachzulesen. Für mich als Christin ist die Bibel ein Glaubensbuch, aber natürlich ist sie auch ein Kulturgut. Ein Mensch kann doch in Deutschland und Europa Geschichte, Architektur und Literatur überhaupt nicht verstehen, wenn er keinen Schimmer von der Bibel hat. Was würde er denn zur Flüchtlingssituation sagen, und wie zufrieden sind Sie selbst ei­ gentlich mit Deutschland und den Deut­ schen?  Margot Käßmann:  Luther hätte ge- sagt, es ist ein biblisches und damit ein christliches Gebot, den Fremden zu schützen. Und in der Bibel steht sogar, wo wir Fremde aufnehmen, nehmen wir Christus selbst auf. Ich selbst freue mich, dass so viele Menschen bereit sind zu helfen. Das sehe ich ja auch in unseren Kirchengemeinden. Überall sind Räume geöff- net worden, gibt es Sprachunterricht, werden Menschen auf Ämter begleitet. Auf der anderen Seite sehen wir in Deutschland aber auch Frem- denhass. Das Gepöbel, auch gerade vor Flücht- lingsheimen, finde ich beängstigend, und einer Pegida-Bewegung spreche ich massiv ab, das christliche Abendland zu verteidigen, weil jenes doch gerade den Wert der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe hochhält. Im Zeichen der zunehmenden Digitalisierung hat sich die Beziehung zwischen Mensch und Mensch spürbar verändert. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?  Margot Käßmann:  Ich habe da spontan das Bild von dem Ehepaar vor Augen, das sich im Restaurant gegenüber sitzt, und beide gu- cken und tippen in ihr Smartphone. Aber ich denke auch, dass jede Generation ihren eige- nen Weg finden muss. Vieles ist ja auch posi- tiv. Diese App beispielsweise, bei der junge Leute sagen: »Ich will heute Abend ins Kino gehen – wer in meinem Umkreis kommt mit?« Und dann finden sich drei oder vier, die zusammen gehen. Ich denke, dass alles Vor- und Nachteile hat, so wie in jeder Zeit. Als ich jung war, kam das Fernsehen verstärkt auf, und da dachten alle: »Jetzt bleibt jeder nur noch zuhause und guckt in die Röhre.« Das war na- türlich dann doch nicht so. Der Mensch sollte immer ethisch unter- scheiden, wie er mit den Mögli- ckeiten, die er hat, umgeht. Ich finde vieles wunderbar, dass ich zum Bei- spiel mit meinen vier Töchtern, die alle an unterschiedlichen Orten leben, digital kommunizieren kann. Dadurch weiß ich immer, was bei ihnen passiert und, kann sie über sol- che Services wie »Face Time« auch noch sehen. Aber natürlich gibt es auch Nachteile. Dass Menschen vereinsamen können, wenn sie nur noch mit ihrem mobilem Gerät kommuni- zieren statt Face to Face mit anderen Men- schen, das halte ich für ein ernstzunehmen- des Problem. Und was sagen Sie zum Agieren der Bundes­ regierung, speziell zu Angela Merkel?  Margot Käßmann: Frau Merkel findet in bei- den großen Kirchen für ihre Haltung große Unterstützung. Doch natürlich muss bei je- dem Flüchtling wieder gefragt werden: Was ist am Ende der Asylstatus? Aber in dieser Notsituation, in der wir Ende September wa- ren, wo Flüchtlinge ankamen und es keine Perspektive gab, war es richtig, dass ein rei- ches Land wie Deutschland erst einmal auf- nimmt und erst dann klärt, wie der Status ist. In so einer Situation hätten wir doch Menschen da nicht einfach abweisen und verhungern lassen können. Allerdings wird es jetzt äußerst schwierig sein, eine europä- ische Lösung zu finden. Beschämend aber ist, dass in den Lagern im Frühsommer die Essensrationen gekürzt, wenn nicht sogar ganz eingestellt wurden, weil UNHCR keine finanziellen Mittel mehr hatte. Dass die Si- tuation so dramatisch wurde, hängt auch damit zusammen, dass wir die Fluchtursa- chen in den Lagern verschärft haben, wie im Libanon, in der Türkei oder an der syrischen Grenze. Ich finde, wir müssen uns immer auch fragen: Was hat es mit uns zu tun? Die Flüchtlinge sind schließlich nur die Bot- schafter der weltweiten Ungerechtigkeit vor unserer Haustür. ©StudioSeekamp,Bremen ›Jede Generation muss ihren eigenen Weg gehen.‹ Margot Käßmann

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