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GCM 5-2015

GCM 5 / 2015   GERMAN COUNCIL . Think her, dass Menschen den Rhythmus zwischen Schaffen und Ruhen verloren haben. Fakt ist doch, dass praktisch die ganze Gesellschaft kei- nen Rhythmus mehr hat. Die Zeit der Besinnlichkeit rückt näher. Wor­ über sollte sich denn unsere Gesellschaft aus Ihrer Sicht Gedanken machen?  Margot Käßmann:  Martin Luther hat einmal gesagt: »Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.« Und ich finde, die Menschen sollten sich überlegen, woran denn ihr Herz hängt. Bei vie- len ist es sicher der Konsum: »Ich kann mir was leisten, entweder et- was kaufen oder eine schöne Ur- laubsreise machen«. Ich würde den Menschen, vor allem als Pfarrerin, raten: Denkt mal über den Sinn des Lebens nach! Wir sind eine Spaßgesellschaft. Soziologen sagen, es gebe eine sogenannte »Karnevali- sierung« der deutschen Gesellschaft. Also nicht nur Karneval, sondern alles muss im- mer Spaß machen, und deshalb kommen die in die Tiefe gehenden Fragen: »Wie will ich eigentlich leben?«, »Was ist der Sinn des Le- bens?« und »Wie lebe ich meine befristete Zeit auf der Erde bewusst?« deutlich zu kurz. Bei Beerdigungsgesprächen mit den Angehö- rigen höre ich oft: »Darüber, wie der Vater beerdigt werden will, haben wir nie gespro- chen.« So etwas finde ich sehr schade. Vom Karneval nun zu Halloween. Der Reforma­ tionstag steht seit einigen Jahren zu diesem aus den USA zu uns nach Deutschland rüberge­ schwappten Fest in Konkurrenz. Ärgert Sie das nicht?  Margot Käßmann:  Halloween hat ja in Deutschland eigentlich keine Tradition und wurde nur durch eine gezielte Millionen- Kampagne 1991 nach dem wegen des Irak- Kriegs abgesagten Karnevals bei uns einge- führt. Sicher kann man mit »All Hallows' Eve« ein christliches Brauchtum verknüpfen, aber letztlich ist es ein Konsumfest. Ich habe ver- sucht, das mit Humor zu nehmen. Wir haben zum Reformationstag Luther-Bonbons und Luther-Kekse in Orange aufgelegt. Und sagen: Wenn die Kinder was erbetteln, dann wenigs- tens etwas in Zusammenhang mit Luther und Reformation. Unabhängig davon hoffe ich na- türlich und bin auch davon überzeugt, dass der Reformationstag 2017 eine angemessen hohe Aufmerksamkeit bekommen wird. Wir tun derzeit alles dafür, das Jubiläum zum 500-jährigen Bestehen gebührend feiern zu können. Auch der Bundestag hat ja gesagt, dass es ein Ereignis von kulturhistorischer Be- deutung für unser Land ist, und es liegt mir sehr viel daran, dass nach 2017 deutlich mehr Menschen wissen, dass der 31. Oktober der Reformationstag ist. Aber bedauerlicherweise haben wir dafür nicht so ein Millionen-Bud- get wie die Werbeindustrie. Sie sprechen bereits das Reformationsjubiläum an, das Sie persönlich als offizielle Botschafterin begleiten. Wie sehen dazu Ihre Erwartungen aus?  Margot Käßmann:  Wer Reformationsjubiläen der letzten Jahrhunderte anschaut, der hat immer ein deutschtümelndes Luther-Fest vor Augen. Ich wünsche mir, dass wir 2017 ein weltoffenes Reformationsjubiläum feiern, bei dem wirklich klar wird, was das für ein breiter Prozess gewesen ist.Und dieser Prozess dauert ja an, Reform und Reformation sind immer wieder notwendig. Es wird daher nicht nur ein historischer Rückblick sein, son- dern auch ein Blick nach vorn. Wie wollen wir Kirche sein im 21. Jahr- hundert? Ich wäre glücklich, wenn anschließend Menschen – zum Beispiel aus Mitteldeutschland, die vielfach überhaupt nichts mit Kirche zu tun haben – sagen, das ist auch für sie interessant war. Wir werden eine »Weltausstellung Reformation 2017« in Wittenberg gestalten, die viel Information und Diskussion ermöglichen wird. Sie wird international sein und natürlich auch eine ökumenische Dimension haben. Würde Martin Luther noch leben, wie würde er wohl auf das geschwundene Interesse der Men­ schen an christlichem Glauben in kirchlicher Ge­ meinschaft reagieren?  Margot Käßmann:  Ich kann mir schon vor- stellen, dass er sagen würde: »Besinnt euch mal auf eure Wurzeln!« Und gerade, wenn im Moment so eine Debatte da ist, welche Werte in Deutschland eigentlich gelebt wer- den, dann müssen wir sagen, dass unser ©StudioSeekamp,Bremen ›Wir sind eine Spaßgesellschaft. Soziologen sagen, es gebe eine sogenannte »Karnevali- sierung« der deutschen Gesellschaft.‹ Margot Käßmann

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