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GCM 4-2012

  GCM 4 / 2012 GERMAN COUNCIL . Colours Farbe im Innenraum Prof. Axel Venn Das Wohnen steht unter Beobachtung. Der Geschmacksminister beauf- sichtigt das Geschehen. Der Farbkommissar meldet verdächtige Bewe- gungen in der Farbszene. Unten die vertrauliche Niederschrift des Er- mittlers. Die Weissnuancen Schön ist langweilig. Weiß ist steril. Grau ist farblos. Rot ist aufre- gend. Blau ist kalt. Grün ist grasig. Der Versuch, es mit Crème zu pro- bieren, wird nicht der letzte sein, aber sicherlich der leidenschaftslo- seste, ängstlichste und indolenteste. So wie Latte macchiato schmeckt, so sieht Crème aus. Das Schicksal der Räume ist beklagenswert. Fast alle sind zu sauber oder zu dreckig, zu farblos oder zu bunt, zu leise oder zu laut. Ihr Ek- lektizismus wird gesteigert durch die immer gleichen Interieurs, die gänzlich von einer schwedischen Möbelgruppe dekretiert werden. Und alle machen mit aufgrund wohlfeiler Rezepturen und weil es so praktisch ist. Und alle fühlen sich im massensuggestiven Eintopf wohl und sind ziemlich glücklich damit, wie es scheint. Die Aussicht, in ei- ner individualisierten Gesellschaft zu leben, ist so absurd wie das Missvergnügen an kollektivistischem Tun. Das Weiß und seine hell angefärbten oder leicht angetrübten Schwesterchen und Brüderchen von Milch- bis Leinen- und von Mehl- bis Zuckerwatten-Weiß haben weiterhin Favoritenstatus. Der Kompromiss hat Methode. Das farbige Nichts ist Kult. Weiß ist die andere Seite der Medaille, deren Vorderseite Schwarz ist. Schwarz als Zeichen höchster Würde, Macht und Transzendenz. Dage- gen ist Weiß das engelsgleiche, himmlische, fragile, unschuldsvolle Gegengewicht, nicht weniger bedeutend und kaum weniger harmlos. Weiß hat sich in unseren Köpfen eingebrannt als das einzigartig Schö- ne, Saubere und Hygienische. Nur selten können sich die Menschen an elaborierten Geschmacksnormen vorbeischummeln. So ist die Zimmerdecke so weiß wie das Kühlschrankinnere. Das aseptische Weiß der Zahnpasta dient als cleanstrahlende Mustervorlage für Bett-, Bad- und Tischwäsche. Hemden erhalten ihre letzten, maxima- len Weißwerte mittels optischer Aufheller, mit deren Hilfe man den vielen Weißwäscherinnen über Jahrzehnte hinweg ein gutes, reines Gewissen versprach. Geglaubt haben sie es natürlich nie. Die Nebel- und Sorbettne Keine Frage, die stillen, cremigen, teils staubigen und nebligen Schat- tentöne, deren Nuancen- und Fantasiereichtum märchenhafte Quali- tät besitzen, umgeben uns zu beinahe jeder Stunde. Sie schwanken zwischen Dur und Moll, mal sind sie feminin, dann maskulin geprägt, selten kindlich-spielerisch. Ihre Tonigkeit ändert sich mit jedem wech- selnden Lichteinfall, auch die kleinste vorübergehende Wolke färbt Wände, Boden, Vorhänge, Möbel und uns selbst neu ein. Sie changie- ren, zittern und vibrieren, wenn sie durchs Laubwerk fallen, und zeichnen amorphe, unfassbare Vexierbilder auf glatte und mattierte Flächen. Diese Art der farbigen Interpretation zeigen manche der wenigen noch erhaltenen Farbflächen auf, die in altmeisterlicher Manier von Handwerkskünstlern aufgetragen wurden. Dies geschah in der Wei- se, dass auf weißem Grund zuerst ein heller durchsichtiger Blauton, danach eine lichte, helle Gelblasur und darauf folgend eine ebenso helle opale Rot-Nuance aufgetragen wurde. Auf diese Weise ent- stand eine unnachahmlich verblasste und verblichene Altrosa-Nuan- ce, deren Durchlässigkeit eine intrakutane, fast körperlich spürbare Intensität besaß. Ihre Gleichmäßigkeit war in der Weise vollkommen, ©opicobello-Fotolia.com

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