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GCM 4-2012

GCM 4 / 2012   german council . VOR ORT wie dem GCSC-Kongress in Berlin darü- ber, inwieweit Avantgardekonzepte für die breite Umsatzmasse relevant sind und welchen Lebenszyklus ein Hollister hat – Veränderungen, zu der zwei Mei- lensteine beitrugen. Mit Gewohnheiten brechen Jahrzehnte galt die warenmaximierte Verkaufsfläche als Umsatz-Nonplusultra; für entsprechend irrsinnig hielt man App- le, die 2001 mehrere 100 m2 Verkaufsflä- che um gerade mal fünf Produkte herum- bauten. Damals herrschte Rezession, be- währte Händler und Apples Umsätze strauchelten, doch Steve Jobs beharrte: Markeninszenierung, Ausprobieren und Technikhilfe sind wichtiger als Distributi- on. Das beruhigte die Branchengemüter kaum, eroberte aber Kundenherzen im Sturm! Apples Ladenumsätze toppen mit gut 6.000 USD/sf., die des durchschnittli- chen US-Händlers um Faktor 17 – geldwer- te Fakten, die Showroom­konzepten mitt- lerweile den Ruf des Umsatzallheilmittels eintrugen. Vor sieben Jahren führte Star- bucks das Vorzeigewohnzimmer im deut- schen Handel ein und bewies damit, dass selbst discountaffine Nationen für mittel- mäßigen Kaffee saftige Preise zahlen, wenn das Ambiente sie in Kurzurlaubs- stimmung versetzt! Seither stieg die Sofa-, Sessel- und Wohnaccessoiredichte rasant, von der Mayerschen Buchhand- lung bis zu Tommy Hilfiger. Doch Gemüt- lichkeit reicht in Zeiten, wo man bequem von zu Haus mit dem iPad bestellen kann, nicht mehr aus, um Kauffreudige hinterm Sofa nebst Mobilgerät hervorzu- locken. Wie erfolgreiche Lockrufe des stationären Handels künftig klingen kön- nen, bekam auf dem Berliner Kongress Konturen. Input gaben sowohl innovati- ve als auch massenfähige Händler, bran- chenfremde Blicke über den Tellerrand wie vom Querdenker Hermann Scherer oder dem Zirkusdirektor Bernhard Paul und allen voran von der vorgestellte GC- SC-Studie »Verführung für Fortgeschritte- ne«. Die vom Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) durchgeführte Analyse zeigt syste- matisch auf, wie die Regeln der Kaufver- führung anspruchsvoller werden: »Der Point of Sale entwickelt sich zum Point of Seduction. Besonders deutlich wird die neue Art der Verführung beim Essen, dem Symbol für Genuss schlechthin. Hier zeigt sich der Wandel anhand von Ritua- len, Ästhetik und Sinnlichkeit exempla- risch«, fasst GDI-Konsumforscherin Martina Kühne eine zentrale Studienerkenntnis zu- sammen. Verführen, aber richtig! Derlei Ratschläge einholen, um zu begreifen, was der Kunde will, ist wichtig, aber noch wichtiger ist es, durch Praxistests die Wünsche der Konsu- menten vielleicht besser zu begreifen als sie selbst. Phil blitzt bei Rita auch dann noch ab, als er bereits auf den Weltfrieden trinkt, mit französischen Gedichten pariert und Klavierspielen lernt. Erst als er auf die abge- fragten Wünsche nicht nur reagiert, son- dern sie interpretiert und eigene Angebote unterbreitet, wie sie wahr werden können, verfällt sie ihm. Anders gesagt: Nur wer versteht, dass Hol- lister die Menschen zur Strandjagd ent- führt, weiß, was es heißt, der Marke eine Bühne zu bauen. Zwar wird das Wort seit Jahrzehnten für jeglichen Ladenausbau ge- nutzt, der über das Normalmaß hinausgeht, nun aber bekommt die Markenbühne klare Konturen: »Gefragt sind Eleganzräume, de- ren Förmlichkeit, Rituale und gewisse Feier- lichkeit des Augenblicks einen derart mon- dänen Rahmen schafft, dass man sich nicht nur anders fühlt, sondern sich auch anders verhält«, erläutert Kühne. Die neue Kunst der Verführung exerzieren Fast-Casual-Ket- ten wie Vapiano, Coa oder Mongas vor: Im stylisch-aufgeräumten Ambiente wird das Essen frisch vor den Augen der Kunden zu- bereitet, kleine Rituale wie Frischkräuter- zupfen bei Vapiano oder Zutatenauswahl bei Mongas verleihen dem Besuch das be- sondere Etwas. Beim Marktnewcomer »Hans im Glück« werden knackig frische Hamburger in der Lichtung des Märchen- waldes serviert. Umringt von Birkenstäm- men nimmt man neben gesundem Essen eine Portion Entschleunigung zu sich. Dass diese Erkenntnisse kein Nischen-Chichi sind, zeigt Handelsvorreiter Starbucks; seit diesem Frühjahr experimentiert das US-Un- ternehmen im Amsterdamer »Kaffeelabor«, den Heißgetränkgenuss zu zelebrieren. Ba- rista-Rituale baut man in Anlehnung an Slowfood zum Slowbrew aus, das Ambiente setzt auf intellektuelle Avantgarde: Kunst- volle Deckeninstallationen hauchen dem einstigen Bankgebäude Opernhausopulenz ein; das Interieur ist nachhaltiges Cutting- edge-Design; Poetry Slam und Insidermu- siker unterstreichen die Besonderheit des Orts; Delfter Kacheln, Spekulatiusformen oder auch holländische Fensterbrettsitzkul- tur verwurzeln das Kaffeehaus regional. Spannend bleibt, wie es dem Konzern ge- lingt, das Besondere des Augenblicks in Outlets zu vervielfältigen. Verkaufsfördernde Perspektiven auf Ver- trautes! Phil erlebt fortwährend den glei- chen Tag, doch mit seinem Blick ändert sich sein Erleben; Starbucks sagt nicht dem Kaf- feegenuss ade, sondern hilft uns, ihn wie- der neu und inspirierend anders wahrzu- nehmen. Nichts anderes ist die Aufgabe zeitgemäßen Marketings, argumentiert Ogilvy-Chef Rory Sutherland in seinem bru- tal lustigen TED-Vortrag. Wunderbarstes Beispiel: »Squares«, die quadratischen Cornflakes, werden seit ihrem Relaunch als »diamantförmig« verkauft – was beweist, manchmal reicht es aus, ein Quadrat auf eine seiner Spitzen zu stellen, damit es in Kundenaugen wieder begehrenswert er- scheint! Ein Beitrag von Rahel Willhardt

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