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GCM 2-2017

GERMAN COUNCIL . POLITISCHE ARBEIT wIDEr DIE GLoBALE UNVErNUNFt Der Kapitalismus bedroht die Demokratie. Es ist höchste Zeit für eine Instandbesetzung der politischen Institutionen Es gab ein Leben vor dem wachstum. Es war ei- ne Zeit sozialer Innovationen: Urban Garde- ning, Volxküchen und tauschringe waren nur der Anfang. Müll wurde recycelt, wertstofe wurden gesammelt, Butterbrotpapier wurde glattgestrichen und mindestens zweimal ver- wendet. wir saßen auf Komposttoiletten, ver- wendeten auch dort Altpapier. Zweimal in der woche kamen unsere Partner aus der solida- rischen Landwirtschat und brachten frisches Biogemüse bis vor die Haustür; Fleisch gab es einmal die woche. Carsharing und Couchhop- ping sparten ressourcen, auch längere wege gingen wir zu Fuß. Die wohnungen waren klei- ner und gut wärmegedämmt. Zwölf Parteien teilten sich eine waschmaschine, defekte Ge- räte wurden repariert, abgetragene textilien umgeschneidert, alte Pullover aufge- ribbelt. Die Kinder wurden nicht mit Plastikspielzeug überschüttet – dafür spielten sie auf verkehrsberuhigten Straßen. Bei all dem herrschte Zeit- wohlstand: Es wurde mehr gelesen, mehr gespielt und gesungen als heu- te, die heruntergekommenen Schulen wurden in Nachbarschatshilfe in Schuss gebracht. wadenwickel er- setzten Aspirin oder Grippepillen. Und wir haben in diesen Jahren sogar noch Flüchtlinge aus vom Krieg verheerten Ge- genden aufgenommen. Das Leben war nicht schlecht – jedenfalls im rückblick. Nico Paech hätte sein wohlgefallen daran gehabt. Es war anstrengender, aber geselliger. Vor allem: Die übergroße Mehrheit lebte so. Sicher, die Eigen- tümer von Land oder Produktionsmitteln än- derten auch damals nicht ihr Leben. Doch aufs Ganze gesehen waren die meisten Menschen vielleicht sogar zufriedener. Menschen sind, so heißt die Formel der Sozio- logie, plastisch. Sie reagieren flexibel auf ihre Umwelt, auch auf Mangel. In Notlagen redu- zieren sie Ansprüche, entwickeln fantasievol- Aber viele machen ernst. Sie leben asketisch, reduzieren die Zahl der Quadratmeter, der Fleischrationen und der T-Shirts. Sie engagie-  GCM 2 / 2017 le Formen der Selbsthilfe. Alles spricht dafür, dass diese menschliche Eigenschaft nicht ver- siegt. Aber die »alternativen« Ökonomien der Nachkriegszeit waren kein Produkt von intel- lektueller oder moralischer Überzeugungsar- beit, sondern erzwungen durch die Rahmen- bedingungen einer Post-Kollaps-Gesellschaft. Viele Praktiken der Nachkriegszeit sind von alternativen Aktivisten in den vergangenen Jahren neu erfunden worden, mit neuen Na- men und in vielfältigen Formen – nicht aus Not, sondern aus wissensgestützter Einsicht. Die Pioniere einer haltbaren Lebensweise handeln nicht aus Mangel, sondern weil sie ihr Leben und ihre Überzeugungen in Ein- klang bringen wollen. Deshalb trägt ihre öko- logische Vernunft in vielen Fällen die Male ›Wie können die Ess­ und die Mobilitäts­ gewohnheiten einer ganzen Bevölkerung verändert werden? Wie deiniert man angesichts der kommenden Rationalisie­ rungswellen gute Arbeit?‹ Mathias Greffrath des Wohlstands, vor allem bei den aufgeklär- ten Schichten mittleren Einkommens: Sie klemmen das Fahrrad in den Heckträger des Mittelklassewagens; kaufen Ökotomaten, die eine lange Reise hinter sich haben; probieren in hippen Markthallen Designerklamotten aus fair gehandelter Baumwolle an; vertrauen der Naturheilkunde – bei der Ayurveda-Kur auf Sri Lanka. Alles okay, doch diese Versuche, das richtige Leben unter den falschen Rahmenbe- dingungen zu leben, sind naturgemäß in ih- ren Auswirkungen sehr begrenzt. ren sich für Windenergie, blockieren Hühner- fabriken, gründen Genossenschaften und Re- paraturcafés, krempeln die Lehrpläne an Volks- wirtschaftsfakultäten um. Ihr ökologischer Fußabdruck ist so klein, wie ihre Ziele groß sind. Alles mehr als okay. Aber ich habe Zwei- fel, dass von diesen – im globalen Maßstab – winzigen Inseln der Vernunft die notwendigen und vor allem rechtzeitigen Impulse zur Ein- dämmung der ansteigenden Flut des Wachs- tums, des Wassers, des Mülls, des Elends aus- gehen werden. Die Ansteckungswirkung exis- tenzieller Experimente bleibt subkulturell be- grenzt. Bislang liegt ihre Wachstumsrate unter der des BIPs. Ähnlich ist es mit den Theorien: Die Blaupau- sen für eine Postwachstumsgesell- schaft, für Green Growth, für globale »Commons«, die Manifeste für ein »konviviales Leben«, die Untersu- chungen zur »Glücksökonomie – wie die lebensreformerischen Kommune- gründungen erinnern sie mich an die Theorien und Pamphlete der frühen, utopischen Sozialisten: lauter richti- ge und starke Ideen, aber ohne star- ke organisierte Interessen hinter sich. Vorzeichen und Einübungen in gesamtgesellschaftliche Umwälzungen, aber noch nicht deren Beginn. Alle historische Empirie spricht dafür, dass ganze Gesellschaften ihre Lebensweise nicht aufgrund von vorausschauender Planung oder moralischer Einsicht verändern, sondern nur unter dem normativen Druck der Rah- menbedingungen. Und solange der nicht stark genug ist, werden auch die Debatten über Postwachstum mehr oder weniger klein und akademisch bleiben. Kein Zweifel: Es gibt einen Bewusstseinswandel, die Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Produktion kommt voran – aber alle Fortschritte zerbrö- seln an der quantitativen Steigerung des

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