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GCM 2-2017

GERMAN COUNCIL . POLITISCHE ARBEIT Weltverbrauchs, am Rebound-Effekt. Lokal geht es in vielen Weltgegenden vernünftig zu, global herrscht business as usual. mus. Die Mainstream-Eliten tun das als »Mo- dernitätsverweigerung« ab oder verweisen schulterzuckend auf die überlebensnotwendi- ge »globale Konkurrenzfähigkeit«. der Gewerkschaften; der Überhang an Kapital und die Schuldenlast beförderten die Privati- sierung der öffentlichen Infrastrukturen. Gleichzeitig wächst – neben der politischen Are- na – die Zahl der Wissenschaftler und Aktivisten, die von »Postwachstum« reden. Die griffige For- mel lässt vergessen, dass es auch eine Zeit vor dem Wachstum gab – und das war die Welt von Krieg und Klassenkampf. Nicht der Sieg der De- mokratie am Ende des »Zeitalters der Extreme« war der große Peacemaker, nicht einmal der his- torische Kompromiss der »sozialen Marktwirt- schaft«. Es war die Ausweitung des Massenkon- sums von Haushaltsgeräten, Automobilen, Tele- kommunikation, die in den »goldenen dreißig Jahren« nach 1945 eine Konjunktur erzeugte, deren fiskalischer Fallout den Ausbau des Sozial- staats finanzierte. Der Konsumismus, schrieb Mitte der fünfziger Jahre der Soziologe Helmut Schelsky nicht ohne kulturkritisches Bedauern, werde zur »wirksamsten Überwindung des Klas- senzustands und des Klassenbewusstseins« füh- ren. Und so kam es, für eine Weile jedenfalls, zum Ausnahmezustand leicht abnehmender Un- gleichheit und moderater Demokratie. Als Mitte der Sechziger die Profitmargen zu fal- len begannen, ging es mit dem Konsumieren Aber selbst wenn der nächste Klimagipfel bin- dende Verpflichtungen beschlösse und die darauf folgenden Anstrengungen mit Solar- techniken, smarten Netzwerken und techno- logical leaps bis Mitte des Jahrhunderts er- folgreich wären – nichts spricht dafür, dass dadurch der Wachstumspfad aufgegeben würde. Ölschock, Klimawandel, Währungs-, Finanz- und Schuldenkrisen – keiner dieser Warnschüsse hat den Glauben der Eliten wie der Massen an immerwährendes Wachstum erschüttert. Eher im Gegenteil: Bei den demo- kratisch gewählten Entscheidern führte die Krise von 2008 ff. zu einem noch unerschüt- terlicheren Glauben an bedingungsloses Wachstum. Der Globalisierungsrausch hält an: Der deutsche Agrarminister jubelt über die Steigerung der Exporte – von niedersäch- sischen Schweineteilen nach Afrika und baye- rischer Trockenmilch nach China. Um den Renditen auf die Sprünge zu helfen, betrei- ben die Regierungen der reichen Länder sozi- ale Demontage, auf Kosten von ganzen Gene- rationen ausgeschlossener Jugendlicher. Alle Diskussionen über eine Neudefinition des Sozialprodukts sind bis heute Selbst- beschäftigung im vorparlamentari- schen Raum geblieben – zuletzt hat das Scheitern der Bundestagsenquete »Wachstum, Wohlstand, Lebensquali- tät« das gezeigt. Die Bekenntnisse al- ler Parteien zur Maxime »Wachstum ist nicht alles« finden ihre Grenze am vermeintlichen Zwang, die Besitzstän- de ihrer Wähler sichern zu müssen. Die über den Wohlstand wie über die Demokratie der Zukunft entscheiden- den Fragen aber lauten: Wie können – unter Bedingungen schrumpfender Wachstumsraten – Arbeitsplätze, Renten, Bildung, medizinische Versorgung gesichert werden? Wie können die Ess- und die Mobilitätsgewohnheiten einer gan- zen Bevölkerung verändert werden? Wie defi- niert man angesichts der kommenden Rationa- lisierungswellen »gute Arbeit«? Derart vertrack- te Fragen werden in der alternativen Öffentlich- keit eher am Rande behandelt, die Visionen sind zumeist sehr grobmaschig. In der »Quali- tätspresse« und im Parlament spielen sie kaum eine Rolle. Der Preis für das Kleben am Status quo sind die Wahlenthaltungen, die Verachtung der Politiker, die Rufe nach Wirtschaftsnationalis- Die Unzufriedenheit über den Bruch des Wohlstandsversprechens wächst dramatisch. Doch die Regierenden sehen nur einen Aus- weg: die Wiederkehr des Wachstums. Global gesehen hat der Verbrauch von Rohstoffen, Energie und Ökosystemen längst die Tragfä- higkeit von Erde und Atmosphäre überschrit- ten. Aber eine Politik des Übergangs zum Postwachstum stößt an politische Grenzen: In China, Indien, Afrika und Lateinamerika wür- de eine präventive, auch autoritäre Drosse- lung des Wachstums zur Abwendung ökologi- scher Desaster am Wohlstandsbegehren der Massen scheitern. Aber auch in den westli- chen Demokratien wären die Konsumge- wohnheiten aller Schichten nicht ohne schwe- re politische Verwerfungen zu deckeln. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird erst der Druck realer Katastrophen die Politik zur Wende zwingen, und aller Voraussicht nach werden deren Formen dann nicht aus dem Lehrbuch der Demokratie stammen. Wo die Sollbruchstelle liegt, »der Moment, an dem sich die Wege von Kapitalismus und Demo- kratie trennen« (Streeck), das wird unter dem offenen Himmel der Geschichte ent- schieden. Dabei ist eines offenkun- dig: Eine zukunftsfähige Reorganisa- tion der Wirtschaft würde nicht nur den Reichtum des oberen »1 Pro- zent«, sondern auch die Einkommen der Mittelschichten einschränken. Große gesellschaftliche Projekte aber sind bei schrumpfendem Kon- sum demokratisch, wenn über- haupt, nur mit mehr Gleichheit durchsetzbar – Gleichheit der Kon- sum-, der Gesundheits-, Bildungs- und Berufs- chancen. Damit aber käme die in den Wachs- tumsjahrzehnten verdrängte Gerechtigkeits- frage in neuer Schärfe auf die Tagesordnung. Bevor so etwas im Ernst geschieht, so schließt Streecks Analyse, »bedürfte es zum Mindes- ten jahrelanger politischer Mobilisierung und dauerhafter Störungen der gegenwärtig sich herausbildenden sozialen Ordnung«. Es wäre eine Ordnung mit gedoptem Wachs- tum, noch mehr Ungleichheit – und ohne De- mokratie: der oligopolistische Kapitalismus mit »Marktstaaten«, die hinter einer demo- kratischen Fassade mit polizeilicher Gewalt Störungen verhindern, die Massen mit abge- stuften Rationen von Enter- und Politainment GCM 2 / 2017  ›Die zukuntsentscheidenden Fragen lauten: Wie können – unter Bedingungen schrumpfender Wachstumsraten – Arbeits­ plätze, Renten, Bildung, medizinische Versorgung gesichert werden?‹ Mathias Greffrath erst richtig los. Die Industrialisierung der Land- wirtschaft war der entscheidende Faktor dieser letzten Wachstumsblüte: die Einkommensan- teile für Lebensmittel schrumpften innerhalb von 50 Jahren von 40 auf unter 15 Prozent. So entstand die Kaufkraft für die werbegetriebe- ne Ausweitung der Konsumsphäre, die Durch- kapitalisierung der Freizeit durch die wachsen- den Unterhaltungs-, Dienstleistung-, Tourismus- industrien. Aber dieser letzte Akt des Duetts von Kapital und Demokratie war nur noch (wie Wolfgang Streeck es in seinem Buch »Gekaufte Zeit« nachzeichnet) durch die Abfolge von In- flation, Staatsverschuldung, Sozialabbau und Senkung der Lohnquote zu finanzieren. Dabei stieg die Ungleichheit; die Güterfülle auf Pump und die Arbeitslosigkeit schwächten die Kraft

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