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GCM 1-2017

GERMAN COUNCIL . RESPEKT GErECHt GEBoGEN oDEr DEr rESPEKt Vor DEr wAHrHEIt Nach deutschem Recht ist die Wahrheit verborgen und muss ans Licht gebracht werden. Die Schürfrechte liegen bei Gericht. Aber wie viel Respekt wird ihnen im Strafverfahren gezollt? Das beantwortet der Starverteidiger und emeritierte Rechtsprofessor Klaus Volk in einem Gespräch mit dem German Council Magazin. Professor Volk, nach jahrzehntelanger Praxis haben Sie »Die Wahrheit vor Gericht« in Buch- form gebracht. Allgemeinverständlich erklären Sie die Regeln des deutschen Strafprozesses. Was ist demnach die Wahrheit? Klaus Volk: Das ist einfach: Die Übereinstim- mung mit Wirklichkeit. Nur was ist wirklich? Da fängt die Schwierigkeit an! Vor Gericht zählt nicht nur, was jemand getan hat, son- dern auch, was er sich dabei dachte. Neben dem objektiven Tathergang geht es um Moti- ve, Lebensumstände, geistige Zustände oder die Persönlichkeit. Der menschlichen Psyche ist schwer habhaft zu werden. Für das Urteil macht sie einen himmelweiten Unterschied. Ob jemand in Mordabsicht zielt und daneben- schießt oder gar nicht treffen, sondern den anderen nur erschrecken wollte, und abdrück- te, weil er meinte, der Revolver sei nicht gela- den, kann über jahrelange Haft oder Straffrei- heit entscheiden. Also was ist die »Wirklichkeit« von Vorsatz? Der Richter verhandelt den Raub einer Hand- tasche durch einen Tramper; der prozessbetei- ligte Psychologe sieht im Tatablauf eine Subli- mation: Der Täter nahm die Tasche als Fetisch, weil er sich nicht traute, die Fahrerin zu verge- waltigen. Der Fakt ist strafrechtlich eine ent- wendete Tasche. Aber es muss geklärt wer- den: Was brachte den Täter dazu? Bei so vielen subjektiven Faktoren – kann ein Gericht je ermitteln, wie es wirklich war? Klaus Volk: Sie können keinem Menschen in den Kopf schauen. Ob Sie im Prozess die wah- re Motivation erfahren oder ob jemand vor- sätzlich handelte, es aber glaubhaft als fahr- lässig darstellt – das ist nicht immer klar. Ihr Buchuntertitel »Wie sie gefunden und ge- schunden, errungen und erkauft wird« deutet an, dass die Wahrheit auch Schaden nimmt. Klaus Volk: Der Strafprozess behandelt immer nur einen kleinen Ausschnitt des Ganzen, auch wenn sich das viele Menschen anders  GCM 1 / 2017 vorstellen. Weder ist er dazu da, Skandale auf- zuarbeiten, noch ist er ein zeitgeschichtliches Forschungsvorhaben. Ihn interessiert einzig die Frage: Hat sich jemand strafbar gemacht? Das wird mit begrenzten Mitteln, auf be- stimmten Wegen erforscht – was zu Beulen und Verbiegungen führen kann. Entscheidender ist die Frage: Muss man die ganze Wahrheit kennen, um ein gerechtes Ur- teil zu fällen? Wahrheit ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Gerechtigkeit. Auf die kommt es letztlich an. König Salomon wusste in den seltensten Fällen, was los war. Seine Ur- teile waren gefeiert, weil alle Beteiligten zu- frieden waren! Sie schufen Frieden unter Zan- kenden und in der beunruhigten Gesellschaft. Entscheidungen unter Ungewissheit sind also nicht per se falsch oder ungerecht. Aber was genau heißt erkauft? Klaus Volk: Erkauft heißt, die Wahrheit wird nicht über alles gestellt und manchmal für ande- re Interessen wie zum Beispiel die Intimsphäre hergegeben. Lässt man das Tagebuch eines mehrfachen Frauenmörders als Beweismaterial zu, wird die Wahrheit durch Verletzung von Per- sönlichkeitsrechten »erkauft«. Das sind Ausnah- men. Wahrheit wird in Gerichtsprozessen nicht um jeden Preis erforscht. Aussagen, die durch Täuschung erlangt wurden oder abgepresste Geständnisse dürfen nicht verwertet werden. Ganz anders in den USA, wo Täuschungen im Verhör normal und erlaubt sind und man im Kreuzverhör auch das Privatleben schonungslos thematisieren darf. Schwingt bei »erkauft« nicht mit, dass genü- gend Geld mildere Urteile erwirken kann – gera- de bei Wirtschaftsdelikten? Klaus Volk: Die Staatsanwaltschaft kann den Prozess gegen Geldauflage an den Staat oder an gemeinnützige Organisationen abkürzen. Dann verzichtet sie darauf, die ganze Wahr- heit festzustellen. Dass es sich hierbei um ei- nen »Freikaufparagraphen für Millionäre« handelt, ist ein Mythos. In der Praxis werden viele kleine und mittlere Fälle so aufgearbei- tet, bei denen der gerichtliche Aufwand nicht lohnt. Letztlich sind Ermittlungen auch eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Bedingung für ein verkürztes Verfahren ist, dass die Schwere der Tat nicht dagegen- spricht. Beim Bahnunglück von Eschede fragte mich der Bahnchef: »Was kann ich tun, damit das Verfahren eingestellt wird?« Das geht in Deutschland nicht. Ein Unglück mit 101 Toten muss zur Anklage kommen. Der Ermittlungs- aufwand war hoch, Schuldige konnten letzt- lich keine ausgemacht werden. Aber erst, nachdem der Staat alles getan hatte, den Fall aufzuklären, wurde das Verfahren gegen Geld- auflage eingestellt. In den USA, wie in fast al- len Ländern Europas, wird in solchen Fällen das Unternehmen verurteilt, das die Züge auf die Schienen bringt. Das Eschede-Unglück ist prädestiniert dafür, hier die deutsche Gesetz- gebung anzupassen – was auch noch kom- men wird. Im Handbuch der Wirtschaftskanzleien gelten Sie als »Geheimwaffe im Team«. Das klingt schon danach, dass Angeklagte Vorteile davon haben, Sie zu engagieren. Klaus Volk: Mir geht es um die mildeste, sach- gerechte Beendigung des Verfahrens. Es ist nicht meine Mentalität zu sagen: »Ich hau’ Sie da raus!« Aber ich weiß, was mit »Geheimwaf- fe« gemeint war. Aus meinem Mund klingt das allerdings eitel: Es geht um juristische Kreati- vität und den unvoreingenommenen Blick. Oft fällt mir noch etwas ein, woran zuvor keiner gedacht hat. Im Bestfall sagt der Richter: »So habe ich es noch gar nicht gesehen!« Warum sind Sie juristisch kreativer als andere? Klaus Volk: Mein Vorteil ist, ich bin Querein- steiger. Ursprünglich war ich Strafrechtspro- fessor. In den 1980er-Jahren bat mich der lang- jährige Mercedesvorstand Prof. Zahn, ihn in der Parteispendenaffäre Baden-Württemberg

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